Bio, Regional, Regenerativ; Was soll der Stress?
Warum die Diskussion großer Quatsch ist und Äpfel mit Birnen und Quitten vergleicht.
Als jemand, der sich in jeder freien und beruflichen Minute mit Lebensmitteln beschäftigt, ist die Diskussion bio vs. regional ähnlich ermüdend wie die Diskussion bio vs. regenerativ.
Auch wenn beide Diskussionen sehr populär sind - jedenfalls in der Szene, in der ich unterwegs bin, stehen sie in der Regel dafür, dass sich die eine Seite nicht mit den Inhalten und Themen der anderen Seite beschäftigt; Oder kein Interesse an einer inhaltlichen Diskussion hat.
Was von Seiten der Bioszene häufig angebracht wird ist, dass bio klare Richtlinien hat, während regional und regenerativ ziemlich frei interpretierbar sind und auch niemand so richtig Interesse daran hat, das zu ändern. Auf der einen Seite hat das eine wahnsinnige Schönheit, der ich auch immer anheimfalle: das Überregulieren und Erstellen von Richtlinien für jeden Pipifax nimmt sehr häufig die Emotion aus der Lebensmittelproduktion. Auf der anderen Seite ist meiner Überzeugung nach die Motivation für das nicht-fassen von Rahmenbedingungen weniger der Erhalt der Schönheit, als vor allem die Anst davor, dass die Bewegung in sich zusammenfällt: müsste ein als regional vermarktetes Produkt - so wie es für Bio-Produkte gilt - zu 100% aus regionalen Komponenten bestehen, wären wahrscheinlich 90% der Produkte nicht möglich. Oder nur Monoprodukte, also unverarbeitete Produkte, die aus einer Komponente bestehen, wie Fleisch oder Gemüse, wie es bei den Tierwohl-Labels der Fall ist.
Dieser Reflex “dann zeigt und fasst doch mal bitte genau, was regional/regenerativ ist”, kommt häufig dann, wenn Sätze fallen wie “Regional ist das neue Bio, oder regenerativ ist bio in cool” - also die erste kleine Ignoranz-Keule schon geschwungen wurde. An dem Punkt sind viele Diskussionen ziemlich schnell ziemlich hitzig. Eigentlich aber zu Unrecht, wie ich finde. Jedenfalls, wenn man es inhaltlich meint.
Von Äpfeln, Birnen und Quitten
Bio beschreibt eine Philosophie in Anbau, Tierhaltung und Verarbeitung, die von der Idee einer gewissen Rücksichtnahme und Reinheit ausgeht: Flächen und Tiere sollen nur so viel leisten, wie der Standort/das Tier aus sich heraus produzieren kann. In der Verarbeitung wird nach dem Prinzip “so viel wie nötig, so wenig wie möglich” mit Zusatzstoffen und Hilfsmitteln umgegangen: was handwerklich gelöst werden kann, darf nicht über Hilfsmittel gelöst werden (Haltbarkeit, Fluffigkeit bei Brot, Standfestigkeit bei Wurst, etc.) und schönende Mittel, die das Lebensmittel optisch attraktiver, aber nicht besser machen, sind ebenfalls verboten (Farbstoffe, oder konkret bspw. Nitritpökelsalz und Ascorbinsäure bei Verbandsware).
Wie so häufig, wenn reproduziert statt selbst hergeleitet wird, ist die oben beschriebene Grundidee bei vielen Höfen und Verarbeitern nicht die Motivation, sondern Bio-Landwirtschaft ist vor allem ein Geschäftsfeld. Die Wurzel aber, auf die die Richtlinien zurückgehen, ist aber der rücksichtsvolle Umgang mit der Natur und die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel in denen nur das drin steckt, was sinnvoll und notwendig ist.
Regionalität wiederum beschreibt die Herkunft der Produkte. Wie oben angerissen, wird es im Detail schnell komplex, wenn man genau hinschaut. Müssen alle Komponenten regional sein? Ist es auch regional, wenn das Futter der Tiere oder die Düngemittel komplett zugekauft werden? Auch aus Übersee? Muss die Verarbeitung auch komplett hier stattgefunden haben um regional zu sein? Spielt die Komponente der regionalen Wertschöpfung/Arbeitsplätze in der Region zu haben eine Rolle?
Spielt das Terroir eine Rolle, also der Geschmack der Region? Wo ist der Radius gezogen? Und wie gehen wir mit einem regionalen Produkt um, das an seinem Ort Ultraregional/lokal ist, aber woanders genossen wird? Ich schreibe dazu nochmal gesondert etwas, bis dahin ein älterer Artikel, den ich vor ein paar Jahren für
’ Fleischglück-Portal geschrieben habe.Regenerativ ist wiederum eine Philosophie zur Bewirtschaftung der Fläche, die Landwirtschaft vom Boden aus denkt und “aufbauend” statt “auslaugend” arbeitet. Hier ein toller Rundumschlag in
s Countryside-Newsletter. Genau wie bei regional ist es eine Idee, die auf einer komplett anderen Ebene als bio stattfindet. Und noch viel mehr als bei der regionalen Idee, hat die regenerative Landwirtschaft mit dem Fokus auf den Boden und der Aufklärung dazu die große Herausforderung, Produkte herzustellen, die gesichert aus regenerativer Landwirtschaft kommen. Also Wertschöpfung mit den Produkten zu betreiben.Rein-regenerative Wertschöpfungsketten gibt es praktisch noch nicht, also keine Sicherheit oder Garantien für die Verbrauchenden. Besonders, wenn es um eine ernsthafte Größe und Relevanz der regenerativen Bewegung am Markt geht, wird das eine Herausforderung: in der Direktvermarktung lässt sich die Herkunft gut herleiten - wächst die Bewegung und das Interesse aber, braucht es große Strukturen, die sicherstellen, das keine Vermischung erfolgt und das gibt es aktuell praktisch noch nicht. Der aktuell am einfachsten zu bespielende Markt für regenerative Produkte ist, über Humusaufbau CO2-Zertifikate zu handeln, was aber aktuell noch häufig ein halbseidenes G’schmäckle hat.
Für mich hat die noch fehlende wirtschaftliche Honorierung der “Relawi” aber eine entlarvende Schönheit: es zeigt nämlich, dass auch in der konventionellen Landwirtschaft Idealismus schlummert. Aktuell ist eine Flächenbewirtschaftung nach Ideen der regenerativen Landwirtschaft, ohne aber eine Vermarkung dafür zu haben, reiner Idealismus und der häufig kolportierte finanzielle Mehrwert und die potenziele Kostenersparnis in der Bewirtschaftung in weiten Teilen eine Glaubensfrage.
Das, was der ökologischen Landwirtschaft jahrzehntelang als etwas naives vorgeworfen wurde, ist aktuell ein stärkerer Motor für die Transformation der Landwirtschaft von innen heraus als vieles, was an Belohnungs- und Straf-Faktoren über Prämien oder Subventionsabzüge installiert wurde.
Aber auch hier mal bei Gelegenheit mehr dazu.
Was ist also das Fazit?
Ich hatte es schon einmal angerissen: die Diskussion ist komplexer als sie häufig geführt wird. Die Äpfel-und-Birnen-Diskussion so zu führen, als wäre es eine Apfel-Apfel-Diskussion, hilft nur denjenigen, die kein inhaltliches Interesse haben: Verbänden, Vermarktern, Initiativen oder Händlern, die im wirtschaftlichen Eigeninteresse handeln und davon profitieren, dass sich ihr Baby am etablierten Konzept Bio reibt.
Gleichzeitig: Bei Regionalbewegungen sind Bio-Betriebe überproportional vertreten und diejenigen, die die regenerative Landwirtschaft nach Europa und Deutschland gebracht haben, waren ebenfalls Biobetriebe. Das heißt nicht “Regional/regenerativ: Who’s your daddy?”, sondern, “die Bewegungen nehmen Bio nichts weg”. Im Gegenteil: von den regionalen Vermarktungsoffensiven der großen Lebensmitteleinzelhändler profitieren Biobetriebe überproportional. Genau so ist die Entwicklung der dringend benötigten Geräte und Maschinen für eine aufbauende Bodenbewirtschaftung ist etwas, das alleine nie zu stemmen wäre.
Bio-Produkte können regional oder nicht regional sein - das ist etwas, was nicht Teil der Bio-Vorgaben ist. Die regionale Note als regional gelabelter Produkte kann recht frei hergeleitet werden und bei der Verarbeitung gibt es keine Einschränkungen. Ökologisch wirtschaftende Höfe sind darauf angewiesen, Böden gesund zu halten und aufzubauen, die Techniken und Herangehensweisen der Relawi werden deswegen aber trotzdem nicht immer konsequent umgesetzt.
Unterm Strich ist es also keine Diskussion. Beim Gegenlesen empfinde ich den Text selbst als antiklimaktisch - das ist aber wahrscheinlich auch genau das, was die Diskussion braucht: Standpunkte, die sie ersticken. Die Bewegungen gegeneinander ausspielen zu wollen ist immer wahlweise Ignoranz oder Opportunismus: inhaltlich ist es der Vergleich zwischen Äpfeln, Birnen und Quitten.