Alles wird aus Fett gemacht! Part 1: Im Rabbithole Butter
Wie aus einem Beratungsgespräch bei einem Direktvermarkter ein wochenlanger Deepdive in Milchsäurebakterien, Reifetemperaturen, Salzprozente und Gedanken zu einer Premium-Buttermarke wurde.
Disclaimer: Dies ist der erste von mindestens drei Teilen meiner Beschäftigung mit Butter. Ein Rundumschlag wäre zu lang geworden. Teil 2 würde sich mit dem Konzept beschäftigen, das ich aus den Recherchen und meinen Ideen gebaut habe und Teil 3 mit meinen praktischen Experimenten. Wann und ob ich die Teile schreibe, ist ein bisschen davon abhängig, ob Teil 1 auf Interesse stößt..
Irgendwann im Spätsommer saß ich auf dem Emkenhof im nordfriesischen Winnert am Küchentisch von Jann und Christine. Die beiden bauen den Familienbetrieb seit ein paar Jahren um und setzen - gegen den allgemeinen Trend - auf weniger gehaltene und gemolkene Tiere und Direktvermarktung. Ihr großes Thema ist, dass sie ihre Herde auf das A2-Gen durchgetestet haben. Die Milch ihrer Tiere also für einen großen Teil der Menschen bekömmlich ist, die eigentlich Probleme mit Kuhmilch haben.
Neben vielen anderen Themen streiften wir damals auch das Thema Premium-Butter, das in Deutschland keine große Rolle spielt. Butter ist etwas, das per se schon eine gewisse Wertigkeit ausdrückt. Auf der anderen Seite wird sich aber nicht viel Gedanken darüber gemacht, was eine gute Butter ausmacht. Anders als bei Brot, wo es echte Superstars am und aus dem Backofen gibt.
Ich habe für mich das Thema Butter in der Vergangenheit mal gestreift, wusste also, dass es ein Rabbithole gibt, bin aber zu der Zeit nicht reingesprungen. Für Familie Dethlefs war es kein wahnsinnig attraktiver Vorschlag, ich selbst hatte mich aber angefixt und sprang im Anschluss an den Termin kopfüber ins Rabbithole.

Im Rabbithole Butter
In der europäischen Kulinarik hat das Maison Bordier aus der Bretagne den Ruf weg, die beste Butter überhaupt zu haben. Der Betrieb ist der kleinen Manufaktur schon lange entwachsen. Im großen Stil zu produzieren macht Produkte nicht schlechter, erschwert aber das Erzählen der Geschichte “von der Weide bis zum Genuss”. Das schafft in der Szene eigentlich also Platz für Betriebe mit einer knackigen und authentischen Geschichte.
Die Bretagne als Ganzes gilt als Butter-Region für die Feinschmecker, Irland als die Butter-Quelle für die Masse. In Deutschland gibt es sicherlich einige Höfe, die eine “Grundbutter” auf einem ähnlichem Niveau wie Bordier und Konsorten haben, allerdings kein Gesamtkonzept auf dem Level, das neben einem funktionierenden Marketing auch die korrespondierenden Spitzengastronom:innen hat, die die Qualität der Produkte bestätigen.
Richtig Markenbildung mit Butter betreiben wenn dann die ButterBoyz, die wiederum in der Szene nicht so richtig Fuß fassen können, weil mehr auf Effekt als auf Stil gesetzt wird und viel von Bordier abgekupfert zu sein scheint. Vermarktungstechnisch ist das wahrscheinlich die richtige Strategie, lässt aber trotzdem eine Leerstelle. Probiert habe ich die Butter der ButterBoyz noch nicht - trotz der Möglichkeit des Versandes hat sie mich nie ausreichend angesprochen. Sehe ich sie irgendwann mal irgendwo im Geschäft oder bekomme sie sonstwie in die Finger, bin ich extrem gespannt, sie zu probieren.
Der Liebling der krassen Restaurants im Norden ist der Tausendsassa Patrick Johannsen, der “Butter Viking” aus Südschweden. Er arbeitet mit den üblichen Verdächtigen in Dänemark und Schweden zusammen, experimentiert mit “Bog Butter”, baute zeitweise eine High-End-Creamery auf der Isle of Wight auf, ist aber nun wieder zurück in Schweden und arbeitet im kleinen Rahmen. Sobald ich es das nächste Mal nach Schweden schaffe, werde ich versuchen, mich mit Patrick zu treffen, um zu verstehen, wie er arbeitet: bei aller Krassheit, ist Markenbildung und Kommunikation im Netz keine seiner Prioritäten.
Unterm Strich steht für mich also, dass in der Szene Platz für ein knackiges Gesamtkonzept wäre, ähnlich wie es damals Lars Odefey mit Odefey & Töchter angeboten hat. Ebenfalls in einem Bereich, wo die Plätze verteilt sind und niemand auf etwas Neues wartet.
Von all den “Bestandsbuttern”, die ich im Norden probiert habe, ist übrigens die Sauerrahmbutter vom Hamfelder Hof mein Favorit (zu der Erkenntnis sind übrigens einige Menschen aus meinem Umfeld parallel gekommen).
Butter nochmal die Krone aufzusetzen wird ein teurer Spaß
Das Problem mit Butter als Produkt für eine nischige Manufaktur ist, dass die Arbeitsgrundlage, das Milchfett, der teuerste Teil der Milch ist. Ein Konzept also, bei dem von Anfang an alles richtig gemacht, also auch die integrierten Höfe davon profitieren sollen, wird schon beim ersten Schritt der Verarbeitung extrem teuer: Die Bio-Anbauverbände haben ausgerechnet, dass ein lebenswerter Erzeugerpreis für Milch bei knapp 70ct liegt - bei knapp 4% Fett in der Milch und 82% Fett in der Butter wären das allein schon 14,28 Euro/kg für das Butterfett ab Tank: Verarbeitung, Transport, Verpackung, Marketing etc. noch oben drauf.
Klar: in der Regel wird die Magermilch auch noch verwertet. Ich wollte aber nicht gleich schon anfangen, Dinge schön zu rechnen, sondern ein ganzheitlich gutes Produkt machen, weswegen mein persönlicher Anspruch wäre, eher das Doppelte für die Milch zahlen zu wollen und die Höfe nicht in die Situation zu drängen, mit der Magermilch zwingend noch Wertschöpfung betreiben zu müssen.
Laut Überschlagung wären wir bei den obigen Grundannahmen, dem doppelten Milchpreis und einer wohl typischen Kalkulation, dass bei Butter der Rohstoff ca. 60% der Kosten ausmacht bei einem Grundpreis für die Butter von fast 50 Euro/kg.

Kleiner Vorgriff auf Teil 2: Was wäre die Idee?
Was mir vorschwebte war eine “Höfebutter”: Eine Charge Butter würde immer von einem Hof und auch nur von einer oder zwei Melkzeiten kommen: bei der Recherche für den Emkenhof, wo darüber nachgedacht wurde, die Milch einzelner Kühe abzufüllen bin ich drauf gestoßen, dass “Single Farm Milk” schon etwas sehr außergewöhnliches ist. Für mich selbst, der ich auf einem Hof mit Milchkühen und Direktvermarktung aufgewachsen bin, war es das Normalste der Welt.
An dieser Stelle vielleicht auch der Disclaimer: bei aller Nerdiness zur Verarbeitung - dass eine tolle Milch die Grundlage für alles ist und diese von extrem vielen Faktoren abhängt, ist sonnenklar. Das ist aber der Alltag meiner ersten 30 Lebensjahre gewesen und deswegen für mich nicht Teil der Recherche zum Butterprojekt, sondern vielleicht bei Gelegenheit mal Thema für einen eigenen Text.
Dokumentiert würde neben dem Hof, die Kuhrasse, die Futtergrundlage (Gras/Kleegras, Heu, Silage) und ggf. sogar die Weide, von der die Tiere die Tage vor der Melkzeit gefressen hätten. Dann die Daten der Verarbeitungsschritte: Lagerung, Pasteurisieren, Zentrifugieren, mit Kulturen beimpfen, reifen lassen, buttern, ggf. noch einmal reifen lassen, Verpacken, etc.
Auch wenn der Bio- und Premium-Delikatessen-Markt aktuell hart zu kämpfen hat und parallel dazu der Preis für Milchfett auf einem Allzeit-Hoch ist, wäre jetzt wahrscheinlich der beste Zeitpunkt, ein solches Konzept aufzubauen und damit antizyklisch zu agieren. Tatsächlich deuten die Marktdaten, in die ich beruflich Einsicht haben, seit einiger Zeit darauf hin, dass sich der Premium-Bereich deutlich besser erholt als der Bio-Bereich ohne besondere Merkmale.
Was kann beim Buttermachen alles beeinflusst werden?
Ähnlich wie bei Wein spielen neben dem Ausgangsprodukt, bei dem Futtergrundlage, Erntezeitpunkt, Hygiene bei der Arbeit, Wetter etc. wichtig sind, auch die Bakterienkultur eine Rolle. Es gibt spezielle Butterkulturen, ich persönlich fand allerdings die Idee charmanter, mit traditionellen Kulturen zu beimpfen, die aus einer Vielzahl von Milchsäurebakterien-Stämmen bestehen, wie unser deutscher Joghurt, Schwedische Filmjölk, isländischer Skyr, oder auch Kefir uvm.
Sie (mit Ausnahme des Kefir) enthalten jeweils eine spezifische Reihe von Milchsäurebakterien, die sich teilweise überschneiden, teils unterscheiden und so aus dem gleichen Ausgangsprodukt unterschiedliches herauskitzeln). Ich habe mich viel damit auseinandergesetzt, wie sich die sich Bakterienstämme bei verschiedenen möglichen Temperaturführungen verhalten: wann entwickeln sich welche Stämme stärker, als Resultat also auch die geschmacklichen Eigenschaften, die sie mitbringen?
Als Grundlage dafür musste ich für mich natürlich auch erstmal klar bekommen, was für eine Butter stelle ich mir als Resultat meiner Experimente vor? Welche Noten möchte ich herausarbeiten? Long Story short: am meisten interessieren mich die subtilen, nussigen Noten. Im Wein-Vergleich, den ich für mich im Kopf immer gemacht habe, also der Körper.
Säure bekommt man easy dadurch ins Produkt, dass man den Kulturen nach der Impfung über eine längere Zeit bei Raumtemperatur oder höher die Möglichkeit gibt, sich entwickeln zu können, die Milch also zu säuern. Die nussigeren Noten entwickeln sich bei niedrigeren Temperaturen und brauchen Zeit. Zusätzlich erschwerend: sie entwickeln sich vor allen in den Bestandteilen der Milch, die nicht das Fett sind. Es geht also darum, den wässrigen “Milchbestandteil” in der Sahne zu reifen, das Milchfett den Geschmack annehmen zu lassen und die Noten nach der Butterung weiter zu entwickeln. Ohne das Fett allerdings zu lange Sauerstoff und Temperaturen auszusetzen, durch die sich ranzige oder käsige Noten entwickeln.
Diese sind zwar in weiterverarbeiteter Form beispielsweise in Gebäck, oder für Foodies, die krassere Geschmäcker und eine gewisse Funkyness geil finden, interessant, für mich persönlich aber im ersten Schritt nicht das Ziel (zu den funky Noten vielleicht dann was in Teil 3 des Textes zu meinen Experimenten).

Jeder Reifezeitpunkt und jede Temperaturführung bringt andere Geschmacksnoten ins Spiel, bzw. ins Fett.
Die Reifung der Rohmilch entwickelt die spezifischen, natürlich vorhandenen Milchsäurebakterien; Arbeitet das hofeigene “Terroir” also nochmal stärker hervor als es bei einem solch sensiblen Produkt wie Milch sowieso schon der Fall ist.
Hier, wie an allen folgenden Punkten ist es so, dass die verschiedenen Milchsäurebakterienstämme unterschiedliche Temperaturen bevorzugen. Die Temperatur, bei der die Verarbeitungsstufe gelagert wird, bestimmt also, welche Stämme sich stärker entwickeln. Auch ein Verändern der Temperatur spielt eine Rolle, es kann also eine gezielte Kurve gefahren werden, um bspw. Kulturen bis zu einem gewissen Grad (bspw. pH-Wert) entwickeln zu lassen und anschließend diesen Reifegrad zu halten, um das Fett das Geschmacksprofil aufnehmen zu lassen und eine weitere “horizontale” Geschmacksentwicklung zu ermöglichen.
Ein Impfen der Sahne, also ein Hinzufügen von Kulturen nach dem Zentrifugieren, bspw. beim Abkühlen vom Pasteurisieren (Abtöten unerwünschter Keime in der Milch; allerdings auch Töten der möglicherweise erwünschten Bakterienkulturen) kann eine weitere geschmackliche Entwicklung der Sahne auf den Weg bringen.
Da das Fett primär als Geschmacksträger agiert, muss das, was an Fermentation und aktiver Geschmacksentwicklung passieren soll, jetzt passieren. Hier spielen die Temperaturkurven die größte Rolle (das was ich nach “Säure ist bibieeierleicht” angerissen habe).
In Klammer: (Ein Aspekt, der sich aus dem Wissen darum ableitet, dass das Fett den Geschmack weniger selbst bildet als mehr annimmt, ist die Möglichkeit, die Fettphase in der Sahne zu aromatisieren. Also Geschmacksträger vor oder nach der Butterung hinzuzufügen. Damit meine ich nicht die Option Kräuter-/ Gewürzbutter, sondern subtilere Noten, die das Fett während der Sahnephase auf- und mit in die Butter nimmt. Das ist ein interessantes Thema für sich, ich persönlich finde im ersten Schritt aber den Weinmachenden-Ansatz den interessantesten: wie hole ich über Reifung das aus dem Urprodukt heraus, das in ihm drin steckt.)
Nach dem Buttern reift der Geschmack im Butterfett weiter. Bei der Lagerung spalten sich die Fettsäuren auf und die Aromen werden komplexer. Eine große Rolle spielen hier neben Zeit und Temperatur auch Residuen aus der Sahne, also verbliebene Enzyme, lebende Mikroorganismen und Bakterienkulturen: die Produkte der vorangegangenen Reifungen.
Als einzige echte weitere Zutate neben Milch kann ein leichtes Salzen (0,5-1,5%) die Geschmacksentwicklung beeinflussen und aber auch die entwickelten Nuanchen betonen. Auch hier spielt der Zeitpunkt eine Rolle, genau wie die Dosierung des Kontaktes mit Sauerstoff. Sauerstoff spielt besonders bei der Entwicklung des Eigengeschmackes des Fettes eine große und meist unerwünschte Rolle. Sauerstoffkontakt sollte also durch sinnvolle Verpackung oder Reifung in (leicht gesalzenem) Wasser minimiert werden.
Das vielleicht einmal für den Moment. Meine Frau hat mir heute Morgen ein Reel von einem schottischen Premium-Butter-Startup geschickt, das mich wieder ein bisschen angefixt hat. Ich habe mich auf meiner Tour durchs Rabbithole nämlich nicht nur mit Milchsäurebakterien auseinandergesetzt, sondern auch mit dem, was es in anderen Ländern an Butter-Manufakturen gibt.
Das, was ich mir daraus gebaut habe, erzähle ich im zweiten Teil: welche Art der Landwirtschaft würde ich unterstützen wollen, wie stelle ich mir eine faire Bezahlung der Erzeuger:innen vor? Wie soll ihre Arbeit Teil des Storytelling sein und welches Konzept könnte all das umsetzen?
Gratulation Ingmar. Super spannende Gedanken. Bei mir arbeitet es schon wie wir bei Vom Einfachen das Gute eine Plattform dafür schaffen.
Im Nobelhart & Schmutzig machen sie Butter selbst und lassen sie lange reifen. Ganz toll. Zu Corona Zeiten konnte man die auch kaufen. Irre teuer aber super.
https://www.stern.de/genuss/essen/restaurant--nobelhart---schmutzig---so-schmeckt-berlin-30652306.html